Kartografie der Wolken_07

Ein Bild geht auf Reisen

Die Bilder von Koki van Trotten reisen gern. Ein Bild besonders. Kartografie der Wolken_07. Immer wieder schmuggelt es sich ins Reisegepäck. Und damit es nicht vergisst, was es schon alles gesehen hat, beschloss dieses Bild zu Pfingsten 2017 fortan Selfies zu machen. Die Gedanken zu den Selfies hat Erik Bend notiert.

 

Schöne Geschichte

 

Holzmaden im Wald sind nun wahrlich nichts, was Förster sich wünschen. Als die gefräßigen Larven vor gut neunhundert Jahren ihren Hunger in der Schwäbischen Alb stillten, gingen die Bäume zu Boden und die Bodenpreise in den Keller. Letzteres ist wiederum eine Situation,  die jeden Schwaben dazu verführt zuzugeben, dass er doch irgendwie Geld besitzt. Und so wurden die Grundsteine für die ersten Anwesen in einen Boden gesetzt, den die neuen Besitzer für ‘n Appel und 'n Ei erworben hatten. Nun muss man wissen, wer einem Schwaben das Schnäppchen seines Lebens ermöglicht, der hat sein Herz gewonnen. Und so nannten die Gründer des neuen Ortes aus Dankbarkeit ihr neues Zuhause Holzmaden. "Die wahre Herkunft des Ortsnamens lässt sich heutzutage nicht mehr ermitteln." Die Geschichte zum Ortsnamen ist also erfunden. Aber sehr charakteristisch für den dort lebenden Volksstamm.

 

Baumwipfelpfad

 

Zwanzig Meter hoch schlängelt sich der Pfad durch Buchen, Tannen und Fichten des Bergmischwaldes. Die Baummarder, Dreizehenspechte, Eichhörnchen, Baumläufer und der Fichtenkreuzschnabel haben sich daran gewöhnt, dass bei ihren Nestern und Höhlen in den Wipfeln der Bäume Menschen vorbei schauen. Irgendwie leben sie in dieser Höhe sorgloser. Hier sind sie zu Hause und die Menschen kommen nur zu Besuch.

 

Christos Erben? 

 

Vor 27 Jahren verhüllte Christo den Reichstag in Berlin und bei jedem verpackten Gebäude muss man immer noch an ihn denken. Das hat er geschafft. Über seinen Tod vor zwei Jahren hinaus. Obwohl nur Fotos von seinen verpackten Großprojekten geblieben sind.

 

Schwarzwald

 

Das Foto sagt alles. Wer jetzt noch fragt, warum der Schwarzwald Schwarzwald genannt wird, dem ist auch mit Fakten nicht zu helfen.

 

Teppich ausgerollt

 

Es sieht aus wie ein Teppich und ist ein Teppich mit eingearbeiteten Teppichmustern. Fachgerecht verlegt (ohne Wellen) auf dem Martin-Mayer-Steg in Bad Cannstatt, einer Fußgängerbrücke aus Beton, die zu den Straßenbahnen führt. Die Straßenbahnen werden im Großraum Stuttgart jedoch U-Bahnen genannt. Klingt weltstädtischer. Wenn man das ernst nimmt, dann hat Stuttgart aber keine Straßenbahnen. Zurück zum Teppich, der den U-Bahnen ausgerollt wurde. Soll Kunst sein. Obwohl ca. 2.000 Menschen den 230 Meter langen Teppich seit Mitte Juli tagtäglich begehen, sieht er noch gut erhalten aus und sorgt immer noch für ein weiches Gefühl unter den Füßen. Bis zum 17. September. dann wird er nach 64 Tagen und ca. 128.000 Fußbekanntschaften wieder eingerollt. (Nachtrag: Am 3. Dezember 2022 lag er immer noch auf dem Martin-Mayer-Steg und müsste jetzt dringend gereinigt werden.)

 

Deutschland Tour

 

Über fünf Etappen ging es von Weimar nach Stuttgart. 120 Fahrer starteten, 99 erreichten das Ziel. Deutschlands einziges Etappenrennen im Straßenradsport für Männer lockte hunderttausende Besucher an die Straßenränder der 710 Kilometer langen Tour. Allein für den kurzen Moment der Vorbeifahrt.

 

Spätsommerabend 2022

 

Die Schatten werden wieder länger.

 Die Sonne hat noch Kraft.

Verboten sind jetzt Rasensprenger.

Die Menschen sind geschafft.

Der Klimawandel brachte Hitze

wie nie gekannt auf Dauer.

Die Sonne trieb es auf die Spitze,

verhinderte selbst Schauer.

Die Flüsse trocken wie die Wälder,

das Wasser fehlt auch Seen.

Der Wertverfall gesparter Gelder -

bleibt nur Spazierengehen.

 

Leben in der Urzeit

Vor 180 Millionen Jahren waberten flache Schelfmeere in der Schwäbischen Alb und Saurier beherrschten die Lebensräume. Von Ichthyosauriern, Plesiosauriern, Flugsauriern, Krokodilen und wirbellosen Tieren werden in den Gesteinsschichten aus dieser Zeit bis heute an unzähligen Stellen Versteinerungen gefunden. So viele, dass in zwei Steinbrüchen heutzutage jeder selbst danach suchen kann und zumeist auch fündig wird. Der Tyrannosaurus Rex lebte in Nordamerika. Aber was soll man als Urweltmuseum machen, wenn die kleinsten Kinder gerade diesen Saurier lieben und seinen Namen kennen. Dann darf er im Dino Park natürlich nicht fehlen.

 

Datsche anno 1388

 

Im tiefsten Mittelalter zog es den Bürgermeister von Rothenburg ob der Tauber ins Grüne und so ließ er weit vor den Toren der Stadt sich ein Wochenendhäuschen bauen. Der damaligen Zeit geschuldet, halb als Wehrturm, halb als festes Wohnhaus. Ursprünglich stand das „Topplerschlösschen“ hinter einer gemauerten Vorburg in einem künstlich angelegten Weiher und war nur über eine Zugbrücke zu erreichen. Die Datsche wurde nie erobert. Seit 1861 gehört sie der Familie Boas. Mit Voranmeldung kann sie besichtigt werden.

 

Sommerbergbahn

 

Alles hängt an einem Seil und das hat nur einen Durchmesser von vierzig Millimetern. Jeder der zwei Panoramawagen wiegt zwölf Tonnen, ohne Fahrgäste. Eine der modernsten Standseilbahnen Deutschlands schafft die 738 Meter auf den Sommerberg mit einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h in knapp drei Minuten. Fahrerlos fährt sie ferngesteuert nach Bedarf. Alle dreißig Minuten aber garantiert nach Plan.

 

Weihnachten nicht gefühlt

 

Alles hat seine Zeit, hieß es früher und vielleicht hätte man es dabei belassen sollen. Aber die Gewinnsucht, wenn sie den Menschen befallen hat, kann darauf keine Rücksicht nehmen und so vermarktet Käthe Wohlfahrt das Weihnachtsfest an jedem Tag, den der Kalender zu bieten hat. Jedoch, selbst dem Überfluss an Weihnachtsartikeln gelingt es nicht eine besinnliche Stimmung aufkommen zu lassen. Kein Leuchten von Kinderaugen war im Weihnachtsdorf zu entdecken. Von Heimlichkeit keine Spur. Dafür drängelte sich ein Gedanke in den Vordergrund: Ist das nicht alles einfach nur Kitsch?

 

Über Reichtum

 

"Wer hat, der hat", sagt der Volksmund. Aber wenn der, der hat, sich nach öffentlicher Wahrnehmung sehnt und nicht zu denen gehört, für die sich die Öffentlichkeit interessiert, beginnt die Suche nach Wegen, wie es doch gelingen könnte, öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. So ließ ein Ehepaar die Kapelle St. Urban 2013 erbauen. Und seither kündet die große Tafel rechts neben dem Eingang von den Stiftern. Kurz vor der Eröffnung verstarb das Ehepaar. Wie heißt es in der Bibel, die an anderer Stelle aufgeschlagen vor dem Altar liegt: "Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn dass ein Reicher ins Reich Gottes komme." Sind die Gotteshäuser der Kirche von denen errichtet worden, denen das Reich Gottes verwehrt bleibt?

 

Das Motiv

Ungefähr an dieser Stelle muss im Sommer 1858 Carl Spitzweg gestanden haben und skizzierte alles was er sah, die Apotheke mit dem Erker, direkt gegenüber das alte Rathaus und den Herterichbrunnen. Einiges hat sich im Laufe der Zeit verändert. Die Marien-Apotheke war damals verputzt, das Fachwerk wurde erst hundert Jahre später wieder freigelegt, und das angrenzende Nachbarhaus hat seine Verspieltheit verloren. Auch der Brunnen wurde ausgetauscht. Zwanzig Jahre nach seinem Besuch in Rothenburg ob der Tauber nahm Spitzweg seine alte Skizze wieder zur Hand und gestaltete aus ihr und seinen Erinnerungen das Gemälde "Der verliebte Provisor" (1878, Öl auf Panel, 31,7 x 26,5 cm). Wie das so ist mit Erinnerungen, der Erker wurde größer, der Brunnen ein Stück zur Seite gerückt und auf das Rathaus ganz verzichtet. Das Gemälde befindet sich in Privatbesitz, die Skizze ist in der Staatlichen Graphischen Sammlung München zu finden.

 

Auf der Walz

 

Etwa 700 Handwerksgesellen unseres Landes sind im Sommer 2022 auf der Walz durch die ganze Welt, also nicht nur in Deutschland unterwegs. Drei Jahre und einen Tag müssen sie von ihrem Heimatort mindestens 60 Kilometer Abstand halten. Die Regeln sind streng. Nur Gesellen dürfen auf die Wanderschaft gehen, maximal 30 Jahre alt, und müssen ledig, kinderlos und schuldenfrei sein. Handy und Laptop sind tabu. Ihre ganze Habe tragen die Wandergesellen auf dem Rücken, im Charlottenburger. Zunfthose, Jacke und Weste sind vorgeschrieben und auch bei der größten Hitze zu tragen. Und natürlich gehört der Stenz dazu. Für Übernachtung und Transport darf kein Geld ausgegeben werden und so wird geschlafen, wo gerade Platz ist.

 

Karzer

 

Nach 1500 wurden Jungs erst im Alter von 14 bis 16 Jahren an der ältesten Uni Deutschlands immatrikuliert und schnell kam es zu pubertären Auseinandersetzungen. So sah sich die Uni "gezwungen" 1545 ein eigenes Studentengefängnis einzurichten - den Karzer, im ersten Stock des alten Uni Gebäudes. Man erhob pädagogische Ratlosigkeit zum Prinzip und sperrte aufsässige Kinder und Jugendliche wegen geringfügiger disziplinarischer Vergehen Tage mitunter Wochen in den Karzer, um Ruhe vor ihnen zu haben. So der Beginn, aber die Studenten wurden zunehmend älter immatrikuliert und die Vergehen wurden schwergewichtiger: nächtliche Ruhestörung, Diebstahl, Schulden, Anfertigung und Gebrauch von Nachschlüsseln, Nacktbaden im Neckar etc. Die letzten Studentengenerationen vor der endgültigen Schließung des Karzers im Jahr 1914, begannen die Wände der sechs Zellen in ihrer Haftzeit zu bemalen und erreichten eine Einigung mit dem Pedell, dem Aufseher, dass nur Zeichnungen entfernt werden durften, wenn der Student direkt beim Malen erwischt wurde. Den Karzer hat in den 369 Jahren seines Bestehens kein Mädchen betreten. Die ersten vier Studentinnen wurden in Heidelberg zum Sommersemester des Jahres 1900 immatrikuliert. Sie waren 26 bis 38 Jahre alt und besuchten die Universität "nur" zu Vorlesungen und Lehrveranstaltungen. 

 

Das Uni-Urgestein

 

Im Mittelalter wurde in Deutschland die erste Uni gegründet. Seit 1386 wurden in Heidelberg die sieben freien Künste gelehrt: Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musiktheorie, Grammatik, Logik und Rhetorik. Um als Student aufgenommen zu werden, mussten die Kandidaten die christliche Taufe, die eheliche Geburt und einen "gesitteten Lebenswandel" nachweisen. Mädchen wurden nicht explizit ausgeschlossen. Für die Gründungsväter war es schlicht undenkbar. Die meisten Studenten waren zwischen 10 und 12 Jahre alt und ihr "Studium" ließe sich eher heutzutage mit dem Besuch eines Gymnasiums vergleichen, aber an der Uni wurde auch geforscht. Mit seiner Aufnahme gehörte der Einzelne der Universität und war deren Gerichtsbarkeit unterstellt. Und so haben die Räume des erhalten gebliebenen Hauptgebäudes der ältesten Universität Deutschlands viele Schicksale beherbergt.

 

The cap

 

Sherlock Holmes machte das Vorgängermodell populär, die Deerstalker-Hüte. Aber die Basecaps sind Amerikaner. Sie sollten den Baseball Spielern vor allem als Sonnenschirme während des Spiels behilflich sein. Die heute bekannte Form hat sich seit den 1950er Jahren nicht mehr verändert. Tom Selleck und Tom Cruise holten the cap als Magnum, McGyver und Maverick vom Spielfeld und sorgten für die Verbreitung im alltäglichen Leben. Die Modeindustrie half kräftig nach. In groß ist the cap auch als Regenschirm ganz brauchbar.

 

Literaturstadt

 

2014 hat die UNESCO eine deutsche Stadt in den illustreren Kreis der Literaturstädte aufgenommen. Nicht Weimar oder Frankfurt am Main, nein - Heidelberg. Auch am Kornmarkt, wo das Selfie entstand, gibt es eine Buchhandlung. Insgesamt sind es zweiundzwanzig in Heidelberg. Hinzu kommen vierzig Bibliotheken, zwei literarische Institute, fast fünfzig Verlage, ein Bücherbus, über zweihundert Lesungen pro Jahr, zwei wichtige Literaturpreise, seit fast dreißig Jahren die Heidelberger Literaturtage und seit acht Jahren der Literaturherbst Heidelberg. Und über allem thront seit dreihundertdreißig Jahren die Ruine des Schlosses. Von Goethe gezeichnet, von Heine besungen, von Clemens Brentano und Achim von Arnim verklärt, von Hölderlin und Mark Twain bewundert. Zur Zeit leben 117 Autorinnen und Autoren in oder direkt bei Heidelberg. Wer nur die längste Verkaufsstraße Europas in dieser Stadt wahrnimmt, dem fehlen alle Sensoren für die Inspirationen Heidelbergs.

 

Scheinheilig

 

Es gibt keine Kirche in Deutschland, auch Moscheen machen da keine Ausnahme, die ihre Besucher nicht bettelnd empfängt. Gläubige wie Schaulustige. Es fehle an vielem, so wird der Eindruck erweckt, aber Transparenz gehörte noch nie zu den Tugenden von Religionen. Es gibt keine Auskünfte über die Höhe der Einnahmen und keine Rechenschaft über die Verwendung der Mittel. Ab und zu werden Zahlen in der Öffentlichkeit platziert. So hat der Katholikentag dieses Jahr zehn Millionen Euro gekostet. Als Soforthilfe für die Ukraine wurde aufgerundet nur eine Million zur Verfügung gestellt. Nun sammeln die Kirchen auch für die Ukraine. Wie viel da zusammengekommen ist - weiß nur die Kirche. Wie konkret geholfen wurde - wer will das wissen? Wie viele ukrainische Flüchtlinge von den Kirchen aufgenommen wurden - nicht veröffentlicht. Leerstehende Dienstwohnungen der Kirchen wurden nachweislich nicht zur Verfügung gestellt. Darüber wurde berichtet. Die Begründung der Kirche: die Möblierung der Wohnungen wäre zu teuer. Nächstenliebe hört sich in Predigten anders an.

 

Beach in the city

 

Vor dem Kunstmuseum (links, 2005 eröffnet, 2021 Museum des Jahres) und dem Königsbau (rechts. 1860 bereits als "Einkaufszentrum" mit Restaurants und Konzertsälen eröffnet) also auf der Flaniermeile Stuttgarts waren nicht nur die Temperaturen hochsommerlich, auch der importierte Strand brannte an den Fußsohlen der Sportlerinnen.

 

Kornkammer Deutschland

 

Etwas mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands wird für die Landwirtschaft genutzt. Und obwohl es überall im Land so wirkt, als hätten die Maisfelder sich unverhältnismäßig breit gemacht, wird so viel Getreide in Deutschland geerntet, dass der Eigenbedarf unseres Landes vollständig abgedeckt werden kann. Jahr für Jahr. 2022 ist ein gutes Jahr. Die alte Bauernregel zeigte Wirkung: Ist der Mai kühl und nass, füllst dem Bauern Scheun und Fass.

 

Home Office 0.2

 

Verlagerung von Arbeit in Wohnungen und Häuser, heute würde man sagen der Arbeitnehmer, hieß im 19. Jahrhundert schlicht Heimarbeit und wurde nicht sprachlich wohlklingend verbrämt. So wurde im winzigen, nicht beheizbaren, feuchten Keller des Weberhauses, in dem drei Großfamilien auf 94 Quadratmetern lebten, an drei Webstühlen Tag und Nacht abwechselnd gearbeitet, um termingerecht das Leinen liefern zu können. Das Foto ist trügerisch. Der Raum ist so eng, dass nicht einmal die drei Webstühle im Bild erfasst werden konnten. Die Wände waren bestimmt nicht geweißt. Elektrisches Licht, dass jetzt den Raum erhellt, gab es noch gar nicht. Das Arbeitsmaterial, die Garnrollen fehlen komplett. Das Haus wurde im "Originalzustand" erhalten, die damaligen Bewohner sind sogar namentlich bekannt und dennoch reicht die Vorstellungskraft nicht aus, das Leben der Menschen in dieser Zeit nachempfinden zu können.

 

07 als Kiebitz

 

Kiebitzen ist unerwünscht bei Skatspielern. Bei Turnieren sogar verboten.  Kiebitze werden immer verdächtigt einem Spieler durch Zeichengebung hilfreich zu sein. Das Skatspiel wurde in Deutschland erfunden. Vor über zweihundert Jahren. In Altenburg. Es ist das einzige Kartenspiel, dass in Sportvereinen gespielt wird und diese trainieren in Vereinslokalen. Mit Oberliga, deutschen. europäischen und Weltmeisterschaften. Dopingfälle sind bisher nicht bekannt, wenn man von alkoholischen Getränken absieht.

 

Stuttgart 21

 

Sollte der jetzt geplante Eröffnungstermin im Dezember 2025 gehalten werden, dann hat der Bau des Stuttgarter Bahnhofs ein Jahr länger gedauert, als der Bau des Berliner Flughafens. Die Gesamtkosten betragen jetzt schon drei Milliarden mehr als beim Flughafen von Berlin. "The Länd" ist nun mal gern die Nummer Eins in Deutschland.

 

Magna Civitas

 

"Magna Civitas" - zu Deutsch "Großartige Stadt". So nennt sich eine Gruppe aus Geislingen, die in ihrer Freizeit den Alltag des Mittelalters aufleben lässt. Wie damals gekleidet campiert die Gruppe an Wochenenden in Zelten und bereitet die Speisen wie vor Jahrhunderten zu. Das Mittelalter war eine raue Zeit. Die Winter extrem kalt, die Sommer kühl. Krankheiten (Pest, Lepra, Syphilis), politische Unruhen (10 Kriege allein im Spätmittelalter), hohe Kriminalität. Im 14. Jahrhundert wurde die Folter als Mittel der "Wahrheitsfindung" eingeführt. Und schließlich sorgte Papst Innozenz VIII. mit seiner Hexenbulle (1484) für die Hexenverfolgung, die mit Eifer dann zwei Jahrhunderte in der Neuzeit betrieben wurde. Die Erfindungen aus dieser Zeit sind übersichtlich: Kompass, Brille, Globus und natürlich neue Waffen. Woher kommt die Sehnsucht nach mittelalterlichem Leben?

 

Fotoshooting

 

Wie vor einhundert Jahren zieht ein Schweizer Wanderfotograf mit seiner alten Plattenkamera und vielen chemischen Zutaten durch die Lande. 07 hatte einen Termin vereinbart, musste eine Ewigkeit still sitzen und es war gar nicht so einfach in schwarz weiß Farbe zu bekennen.

 

Steinheim an der Murr

 

Vor dem Rathaus aus dem Jahre 1686 kreuzen sich mehrere Radwanderwege. Bekannt wurde die Kleinstadt aber durch den "Urmenschen von Steinheim". In einer Kiesgrube wurde vor 90 Jahren der Schädel einer Frau im Alter von ca. fünfundzwanzig Jahren gefunden. Über 300.000 Jahre alt.  Also aus einer Zeit noch vor dem Neandertaler. Natürlich hat die Stadt seither ein "Urmensch Museum", in dem man unter anderem erfährt, dass vor etwa 200.000 Jahren auch Elefanten in dieser Gegend lebten. Ein vollständiges Skelett fand man in der selben Kiesgrube.

 

Kartoffelautomat

 

Sie stehen zumeist am Feldrand, wenn sich das Feld an einer belebten Straßen befindet. Vor allem die Bauern im Süden haben die Selbstvermarktung für sich entdeckt. Frischer, als direkt vom Feld geht es nicht. 121 Kartoffelautomaten soll es inzwischen in Deutschland geben. Spitzenreiter ist wieder einmal Bayern mit 36. In sieben Bundesländern gibt es nicht einen einzigen. Das Saarland und Sachsen Anhalt haben immerhin jeweils einen Kartoffelautomaten.

 

Wandertag

 

Die Wanderung des Lehrers Karl Stoy mit seinen Schülern am 21. August 1853 von Jena bis zum Großen Inselberg gilt als Geburtsstunde des Wandertages an den deutschen Schulen. Erklärtes Ziel war, die Natur gemeinsam kennenzulernen und ein Verantwortungsbewusstsein der Schüler für die Natur zu entwickeln. Seitdem die Schüler mitbestimmen können, wohin es beim Wandertag gehen soll, hat sich viel verändert. Die beliebtesten Ziele heißen heute: Trampolinhalle, Escape Room, Planetarium, Kletterpark und Stadtausflug. Erst auf Rang neun kommt dann der klassische Wandertag. So haben nur ganz selten Schüler die Möglichkeit zum Beispiel einen Bannwald (ohne forstwirtschaftliche Eingriffe) am Wandertag zu erleben.

 

Strandfeeling

 

Das nächste Meer ist 639 Kilometer entfernt. Wer in Stuttgart auf die Idee kommt mit dem Fahrstuhl eines Garagenhochhauses an der Königsstraße unweit vom Hauptbahnhof auf das Dach zu fahren wird mit einer Strandlandschaft überrascht. Allerdings ohne Meer, dafür mit Ausblick. Zwischen Palmen verführen 120 Tonnen weißer Sandstrand zum Barfußlaufen, hundertfünfzig Liegestühle zum Sonnenbad in luftiger Höhe und eine Strandbar sorgt für Erfrischung. 

 

Geburtstag

 

Der Döner to go wird 50. Erfunden wurde er in Berlin. 1972 kam Kadir Nurman in seiner Imbissbude am Bahnhof Zoo auf die Idee, gebratenes Fleisch vom Spieß, bis dahin ein Mittagsgericht in der Türkei mit Reis und Salat,  in einem Fladenbrot als Imbiss für unterwegs zu verkaufen. Salat und Dressing kamen bei der Imbissvariante erst später hinzu. Inzwischen werden täglich über 3,1 Millionen Döner in Deutschland gegessen. Das schafft kein anderes Land, nicht einmal die Türkei. Mit über 1.600 Dönerläden ist Berlin unangefochten die Dönerhauptstadt aller Länder.

 

Fronleichnam

 

Die althergebrachten Prozessionen der katholischen Kirche an diesem Tag sind inzwischen übersehbar geworden. Immer weniger Gemeinden sind bereit, ihren Glauben in die Öffentlichkeit zu tragen. Auch die seit Jahrhunderten bekannten Blumenbilder mit religiösen Motiven nehmen ab. Es fehlt an Knieenden, die diese Arbeit verrichten wollen. Teils aus Altersgründen, teils weil der Wille zum Knieen fehlt. Die Katholiken wollen an diesem Tag öffentlich zum Ausdruck bringen, dass Gott in Brot und Wein mitten unter ihnen ist. Gibt es Preissteigerungen auch im Namen Gottes?

 

Atomstromende

 

Die viertausend Seelen Gemeinde Neckarwestheim liegt auf einem Hügel und hat sich nie bis ans Ufer des Neckars gedrängt. Dafür hat sich am Flussufer vor 50 Jahren das Atomkraftwerk gleichen Namens breitgemacht. Die Einwohner hatten sich schnell daran gewöhnt. Auch an die Steuereinnahmen. Es dauerte nicht lange und Neckarwestheim wurde zur reichsten Gemeinde Deutschlands pro Kopf der Bevölkerung. Der damalige Bürgermeister ließ 21 Millionen Euro "auswandern". Das fiel acht Jahre lang nicht einmal auf. Ende 2022 wird nun der "Zweier" abgeschaltet, wie der Reaktor im Ort genannt wird. Der "Einser" ging schon vor elf Jahren vom Netz, nach Fukushima. Jetzt macht man sich im Ort Sorgen um die Zukunft - von Neckarwestheim. 

 

Mühlentag

 

Pfingstmontag ist Mühlentag in Deutschland. Inzwischen seit 29 Jahren. Über  600 historische Mühlen im ganzen Land öffneten Tür und Tor. Wenn man die Besucher der Klingenmühle hochrechnet, gab es mehr als eine Viertelmillion Mühlenbegeisterte an diesem Tag. Selbstgebackener Kuchen war besonders begehrt. Der Klingenmühlen-Spruch dazu: "Je mehr Du wiegst, umso schwerer kannst Du entführt werden! Schütze Dich selbst und iss mehr Kuchen!"

 

Pfingsten 2022. Seit fünf Jahren ist 07 auf Reisen. Zum Jubiläum das 150. Selfie.

Mauergedanken

 

Mauern machen die Welt kleiner. Ob Stadtmauer, Burgmauer, Ghettomauer, Klostermauer, Gefängnismauer, Grundstücksmauer etc., sie haben immer etwas trennendes. Einseitig soll Besitz bewahrt, andererseits Teilhabe verhindert werden. Egal wie, ob aus Stein oder Palisaden und egal wo, in Städten, durch Länder oder im Kopf. Die Wirkung war und ist beständig gleichbleibend. Die Mauer der alten Römer, also der Limes teilte schon vor zweitausend Jahren die deutschen Lande. So wie Teile der Berliner Mauer werden auch Teile des Limes erhalten. Die Deutschen sind empfänglich für Erinnerungen, wenn sie nur traurig genug sind.

 

Vogelfreiheit

 

Der Weißkopfseeadler hat sich an Menschen gewöhnt. Er fliegt ihnen was vor und landet auch gern in ihrer Nähe. Er könnte davon fliegen. Wer sollte ihn aufhalten bei 120 Stundenkilometern Fluggeschwindigkeit. Der Bruder des deutschen Wappentiers ist Nordamerikaner. Konnte sich nicht entschließen in Deutschland zu siedeln. Aber er hat Bequemlichkeit schätzen gelernt. Warum auf die vielen Leckereien verzichten, wenn sie ihm verlässlich handgereicht werden. Dafür nimmt er in Kauf, dass sein Horst nachts abgeschlossen wird. 

 

Besigheim

 

Im schönsten Weinort Deutschlands ist fast alles wieder beim Alten. Der Charme der Kleinstadt mit ihren mittelalterlichen historischen Bauwerken hat seine Anziehungskraft nicht verloren. Statt zu schließen haben gleich drei Hotels in der Zeit der Pandemie expandiert und bieten jetzt noch mehr Zimmer zur Übernachtung an den Ufern von Enz und Neckar. Noch ist Besigheim nicht überlaufen und man kann ohne anzuecken genüsslich durch die Kirchstraße schlendern. Noch.

 

Nürtingen

 

Nürtingen hatte über zweitausend Einwohner als Friedrich Hölderlin im Alter von vier Jahren dort ein neues Zuhause fand. Er wuchs dort auf, ging dort zur Schule, und kam später immer wieder zurück ins "Mutter Haus". Für ihn war und blieb Nürtingen seine Heimatstadt. Das Nürtinger Schloss jedoch hat auch er nie gesehen. Ein Jahr vor seinem Umzug wurde es bereits abgerissen, aber bis heute erinnert die Schloßgartenstraße daran, dass auch Nürtingen einst von einem Schloss dominiert wurde.

 

Panem et circenses

 

Das Prinzip der Herrscher im altem Rom, schon von Juvenal satirisch angeprangert, hat auch im Einundzwanzigsten Jahrhundert nicht an Wirksamkeit verloren. Lediglich die Zutaten variierten im Laufe der Jahrhunderte. Das Frühlingsfest in Bad Cannstatt, früher hätte man dazu

Jahrmarkt oder Rummel gesagt, besuchten nach zwei Jahren Pandemie 1,3 Millionen. Die Fahrgeschäfte laufen heutzutage fast geräuschlos, aber es ist kaum vorstellbar, welchen Lärm Menschen in der Masse produzieren können.

 

Je mehr man weiß, desto weniger weiß man nicht

 

Die Fassade des Ulmer Rathauses ist sehenswert, mit der astronomischen Uhr und den Wandmalereien, die man sich durchs Fernglas genauer ansehen sollte. Den Skulpturen und Prunkfenstern. Für Touristen interessant, von den Ulmern alltäglich übersehen. Auf der Verkündungskanzel (links im Bild) nahmen seit 1473 Kaiser und Könige Huldigungen entgegen. Da schauten die Ulmer auf - auch auf die Fassade. Flehentlich waren dagegen die Blicke der Verurteilten, denen ihr "Geständnis" und ihr "Urteil" in den Hexenprozessen dieser Stadt auch von diesem Balkon verkündet wurden. Vorbestimmte Urteile. Verschwörungstheoretisch begründet und von Mehrheiten für "wahr" befunden. Nichtwissen hat schon immer zu Auswüchsen geführt.  

 

Kreislauf des Lebens

 

Schwäne leben monogam. Das Nest hat das Paar zusammen gebaut. Das Brüten übernimmt die Schwänin. Die Aufzucht der Jungen das Paar gemeinsam. Die Elternzeit beträgt acht bis neun Monate. Dann schickt der Vater sie hinaus in die Welt. Und das Paar gründet im nächsten Jahr die nächste kleine Familie.

 

Archiv

Druckversion | Sitemap
© Robert Mühlheim