Kartografie der Wolken_07

Ein Bild geht auf Reisen

Die Bilder von Koki van Trotten reisen gern. Ein Bild besonders. Kartografie der Wolken_07. Immer wieder schmuggelt es sich ins Reisegepäck. Und damit es nicht vergisst, was es schon alles gesehen hat, beschloss dieses Bild zu Pfingsten 2017 fortan Selfies zu machen. Die Gedanken zu den Selfies hat Erik Bend notiert.

Lebensmut

 

Wem es gelingt, die Bäume zu verstehen, kann viel von Ihnen lernen. Bei seinen Wanderungen durch die Wälder hatte Kartografie der Wolken_07 hin und wieder einen Brocken der Baumsprache aufgeschnappt. Als 07 nun mitten im Wald an eine Stelle kam, wo die Erde vielen Bäumen den Boden unter den Wurzeln weggezogen hatte, konnte es zuhören, wie sich die Bäume des Waldes um ihre Gefährten sorgten, die sich entschlossen an den Rand des Abbruchs krallten. Nach dem langen trockenen Sommer fiel es den anderen schwer von ihren Wasser- und Nährstoffvorräten noch etwas abzugeben. Aber sie taten es. Und so klammerte sich 07 erleichtert an eine freigelegte Wurzel, um nicht abzurutschen, beim Blick in die Tiefe.

 

Obenauf

 

Als Kartografie der Wolken_07 diesen Viadukt entdeckte, freute es sich. Die Autos flutschten aus dem Berg und verschwanden im gegenüberliegenden. Fast geräuschlos überquerten sie die Schlucht. Und über der Fahrbahn, also obenauf, führte ein recht breiter Weg für Wanderer und Freunde des Fahrrads. Diese Brücke ermöglicht Verkehr. Überlässt aber die Aussicht verweilenden Menschen.

 

Auf der Stelle sitzen

 

Ein Blick genügte und Kartografie der Wolken_07 wusste ganz genau, an welcher Stelle es sich ausruhen wollte. Es blinzelte in der herbstlichen Abendsonne und gab Theodor Fontane recht, von dem es ein Zitat auswendig konnte: „Ich bin immer, auch im Leben, für Ruhepunkte. Parks ohne Bänke können mir gestohlen werden.“

 

Erinnerung an einen Maler

 

Für Kartografie der Wolken_07 war es ein Déjà-vu.  Mitten im Wald dachte 07, das habe ich schon einmal gesehen. Als Gemälde. Und es war sich sicher, dass es von Caspar David Friedrich war. Die Suche nach diesem Bild war jedoch nicht erfolgreich. Hier und da gab es gewisse Ähnlichkeiten. Mehr aber nicht. Wenn ich ein Maler wär, dachte 07 verschmitzt, dann hätte ich jetzt ein Sujet.

 

  Kloster Schöntal

 

Bei der Gründung ihres Ordens wollten die Zisterziensermönche besser als die Benediktiner sein. Mehr beten, mehr lesen und von der eigenen Hände Arbeit leben. Schnell merkten sie jedoch: wer viel arbeitet, hat wenig Zeit fürs Beten. Und so wurde für die Arbeitsamen das Beten zur wichtigsten Nebensache der Welt erklärt. Man nannte sie fortan Laienbrüder, die für das Wohl und den späteren Reichtum des Ordens arbeiteten. Die Chormönche beteten dafür den lieben langen Tag lang.

 

vor dem Chorgitter, wo die Laienbrüder beteten
hinter dem Chorgitter, den Chormönchen vorbehalten

 

Weil die Laienbrüder vor lauter Arbeit so selten das Zwiegespräch mit Gott führen konnten, wären sie natürlich völlig überfordert gewesen, bei Abstimmungen des Ordens mitzuwirken. Sie durften aber, wenn es die Arbeit erlaubte, mitbeten, vor dem Chorgitter - und bestaunen, welch Prunk und Glanz doch durch der Hände Arbeit entstehen kann. 1802 wurde das Kloster geschlossen. Überliefert sind nur Namen von Äbten und Chormönchen. Kartografie der Wolken_07 mochte nicht hinter das Gitter gehen. Selbst 200 Jahre später, wäre es ihm noch unangenehm gewesen.

 

Auf dem Baum des Lebens

 

Kartografie der Wolken_07 hatte das Märchen „Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet“ gelesen. Seither hielt 07 auf all seinen Wanderungen Ausschau nach dem Baum des Lebens. Als es einen alleinstehenden Baum mit einer mächtigen Krone entdeckte, war sich 07 sicher. Das musste er sein. Kurz entschlossen kletterte 07 bis zur Krone hinauf und machte es sich in einer Astgabel bequem. Allein zwischen Himmel und Erde - so träumte 07 vor sich hin.

 

 Gespräch am See

 

Der Graureiher hatte Kartografie der Wolken_07 schon aus der Luft beobachtet, landete auf dem See und ging dann ein paar Schritte auf 07 zu. "Du bist der erste Vogel, den ich treffe, der übers Wasser gehen kann", staunte 07. "Könntest auch du", der Reiher sprach ebenso langsam wie er sich bewegte, "weil ich auf dem Rohr dahinschreite, was in diesem See verlegt wurde." "Starker Trick", meinte 07. "Ich habe aber auch noch nie einen Fisch gesehen, der sich vor mir hinter einem Baum versteckt", erwiderte der Graureiher. "Ich bin kein Fisch", beeilte sich 07 zu versichern, "ich bin ein Bild!" "Ja, ja, ein Bild von einem Fisch." Mit einer gewissen Vorfreude kam der Reiher noch zwei Schritte näher. "Nein wirklich, ich bin aus Holz und ein Gemälde." "Und Gemälde kann man nicht fressen", fragte der Reiher. "Kein Stück", beteuerte 07. "Wie dumm von mir", murmelte der Reiher. "Du bist nicht dumm", versuchte 07 ihn zu trösten, "du hast nur wirklich Pech beim Denken."

 

 

Auch parallele Geraden treffen sich - in der projektiven Geometrie

 

 

Kartografie der Wolken_07 musste an Astrid Lindgren denken als es dieses futuristisch anmutende Haus entdeckte und sich fragte, wie wohl die Häuser in 20 Jahren aussehen werden. Von ihr stammt der kluge Satz: „Wie die Welt von morgen aussehen wird, hängt im großen Maß von der Einbildungskraft jener ab, die gerade jetzt lesen lernen.“

 

Spurensuche

 

Hermann Hesse hätte sich als Kind gewünscht, von seinen Eltern zu hören: "Sei du selbst!" Kartografie der Wolken_07 kennt diese Ermunterung durch Koki van Trotten. Aber Hermann Hesse wartete auf diesen Satz vergebens. Er war es trotzdem, schon als Kind. "...der Bursche hat ein Leben, eine Riesenstärke, einen mächtigen Willen und wirklich auch eine Art ganz erstaunlichen Verstand für seine vier Jahre", schrieb seine Mutter in einem Brief an den Vater. Früh stand für Hermann fest, dass er "entweder ein Dichter oder gar nichts" werden wollte. Nach dem Landesexamen, dass er mit 13 Jahren in Stuttgart bestanden hatte, sollte er Theologe werden. Wurde ins Kloster Maulbronn geschickt, wo er floh. Für seine Eltern war der Gedanke "Sei du selbst" nicht denkbar. Mit 14 Jahren ließen sie Hermann in eine Nervenheilanstalt einweisen. Seine Liebe zur Heimatstadt hat sich der spätere Literatur-Nobelpreisträger aber sein Leben lang bewahrt.

 

Hesses Geburtsstadt - Calw
Hesses Geburtshaus (links)
Hesse auf der Nikolausbrücke

"Es gibt nur diesen einen Ort auf der Erde, wo mir jeder winzigste Winkel ganze Scharen von lebendigen Erinnerungen entgegenwirft, wo jedes Plätzchen in jeder Gasse für mich etwas Erlebtes, Entbehrtes, Unverlierbares ist und noch einen Nachglanz jenes fabelhaften, reichen, leidenschaftlichen Lebens an sich trägt, das ich als Knabe hier gelebt habe."

(Hermann Hesse über Calw)

  

 

 Gepflügt sind längst die Stoppelfelder

 

 

Felder haben einsame Zeiten. Wenn die Ernte eingefahren ist. Wenn sie noch nicht wissen, welche Pflanzen demnächst auf ihnen Wurzeln schlagen werden. Das Gefühl der Nutzlosigkeit flimmert dann über ihnen. Kartografie der Wolken_07 spürte diese Einsamkeit und verstreute am Rande der Felder immer wieder ein paar Samenkörner. 07 musste lächeln bei dem Gedanken, dass im nächsten Jahr wenigstens hier, am Rande der Felder wieder der Klatschmohn blühen wird.

 

… und plötzlich war es Herbst

 

Das Wispern im Wald war nicht zu überhören. Die Aufregung vor dem Absprung ließ die Blätter geschwätzig werden. Kartografie der Wolken_07 gefiel es, sich einfach ins Laub zu legen und den Blättern beim Schweben zu zuschauen. "Sorry, leicht verpeilt", fiepte das kleine Blatt, das auf der Ecke von 07 landete. "Kein Problem", erwiderte etwas gönnerhaft 07, "hättest es schlimmer treffen können."

 

 

Sternwarten schlafen am Tage

 

 

Kartografie der Wolken_07 beobachtet oft den Sternenhimmel. Während der längsten Mondfinsternis dieses Jahrhunderts wanderte 07 auch über die Felder und vergaß - ein Selfie zu machen. So sternenklar war der Himmel an diesem Abend. Und der Mond wurde ganz rot, bevor er sich verdunkelte. Ein paar Tage später entdeckte 07 mitten auf einer Wiese diese Sternwarte. Aber Sternwarten schlafen am Tage.

 

Waldlieder

Kartografie der Wolken_07 mag die Waldlieder von Nikolaus Lenau   (1802 – 1850)

 

Bist fremd du eingedrungen,

So fürcht' Erinnerungen.

Sie stürzen auf Waldwegen

Wie Räuber dir entgegen.

 

Willst Du im Walde weilen

um Deine Brust zu heilen,

So muss dein Herz verstehen

Die Stimmen, die dort wehen.

 

Am südlichsten Leuchtturm Deutschlands

 

Das Stadtmuseum Lindau zeigt gerade 40 Bilder und eine Skulptur von August Macke. Misstrauisch betrachtete der Kartenabreißer Kartografie der Wolken_07 und entschied schließlich, 07 darf nicht mit in die Ausstellung. Eine Dame wurde gerufen, die weiße Handschuhe trug und 07 vorsichtig in die Garderobe mitnahm. Von dort beobachtete 07 die Menschen, die geduldig warteten, um die Bilder von August Macke im Original sehen zu können und wunderte sich, dass kleinen, zänkischen Kindern der Einlass nicht verwehrt wurde. 07 hätte gern die über 100 Jahre alten Bilder besucht. Seine Voreingenommenheit gegenüber Museen verstärkte sich. Kurz entschlossen entschied sich 07 wenigstens den alten Leuchtturm zu besuchen, der schon 31 Jahre vor der Geburt Mackes erbaut wurde.

 

 

Beutelsbach

 

 

Kartografie der Wolken_07 schwang sich aufs Dach wegen der Aussicht auf die Stiftskirche und ahnte nicht, dass sich unter den Dächern von Beutelsbach schon so einiges zusammengebraut hatte. Hier begann der Schwaben-Aufstand des "Armen Konrads". Der wurde zwar niedergeschlagen, aber die Not der Armen danach noch größer. Zehn Jahre später führte diese zum landesweiten Bauernkrieg.

Vor über 40 Jahren wurde unter diesen Dächern der „Beutelsbacher Konsens“ beschlossen, der die Grundsätze für die politische Bildung an allen Schulen Deutschlands festlegte. Der gilt bis heute.

Und - Johann Conrad Wölflin, der Urgroßvater in sechster Generation von Barack Obama ist in Beutelsbach aufgewachsen. (Trump stammt aus Kallstadt. Das liegt in der Pfalz.)

 

Am See

 

Kartografie der Wolken_07 sah die beiden kommen und hatte ein gutes Gefühl. Als sie sich auf der Bank am Waldsee niederließen, schweiften ihre Blicke jedoch über das Wasser in gegensätzliche Richtungen, um dort zu verharren. Schade, dachte 07 und wollte den jungen Baumstamm trösten, der sinnlos gekappt worden war. Aber die Sonne kam ihm zuvor. Ihre Strahlen haben ein Gespür dafür, wo sich Leben entwickelt.

 

Am Wasserfall

 

Wasserfälle möchten gerne glänzen. Das gelingt ihnen auch bei schönem Wetter. Da kraxeln die Menschen auf die Berge, um dem fallenden Wasser zu zusehen. Kartografie der Wolken_07 hatte sich gewünscht, einmal auf solch eine Tour mitgenommen zu werden. Zum vierten Geburtstag wurde 07 dieser Wunsch erfüllt.

 

Hier hängt was in der Luft

 

Kartografie der Wolken_07 kam an einer Streuobstwiese in Bayern vorbei. Die Äste des großen Kirschbaums hatten schwer zu tragen und beugten sich zu 07 herunter. Die Kirschen schaukelten übermütig im leichten Wind und schienen zum Absprung bereit.

 

Ein Haus baut vor

 

Die Ausgangssituation beim Schachspiel ist immer gleich, aber es gibt wohl keinen Schachspieler der alle Spielvarianten kennt. Ähnlich muss es Architekten gehen, dachte Kartografie der Wolken_07, als es vor dem Forum Gold und Silber stand. Aber wenn sie ihre Kreativität entfalten dürfen, gelingen ihnen mitunter die verblüffendsten Rochaden.

 

Fluss - Gespräch

 

Die Strudel des Flusses schmatzten vor Vergnügen und die Mini-Wellen plätscherten völlig durcheinander, wenn sie vom Ziel ihrer langen Wanderschaft sprachen - dem Meer. Kartografie der Wolken_07 hat das Meer noch nicht gesehen. Nur Bilder vom Meer. Allein die hatten bei 07 eine große Sehnsucht geweckt. Und so bat es den Fluss, ihm den Weg zum Meer zu zeigen.  "Keine Ahnung", sagte der Fluss, "da musst Du das Flussbett fragen. Aber das ist sehr schläfrig. All meine Wassertropfen kitzeln es den lieben langen Tag, damit es mir überhaupt das nächste Stück des Weges zeigt." "Wie soll ich das Flussbett fragen, wenn Du Dich darin breit gemacht hast?" "Ach 07", gurgelte der Fluss, "wenn Du den Weg zum Meer nicht kennst, dann folge mir einfach - und Du wirst es finden."

 

 

Schöne alte Zeit-Maschine

 

 

Vor 60 Jahren wurde die alte Kirchenuhr in Echterdingen vom Turm geholt und dafür auf einen Sockel gestellt. Dort tickt sie noch heute und lässt nach jeder Viertelstunde von sich hören. Eine Seltenheit bei Turmuhren. Ob sie schon vor Jahrhunderten ahnte, dass die Zeiten hektischer werden, fragte sich Kartografie der Wolken_07. Wofür brauchen die Menschen eigentlich die Uhren? Die schönsten Zeiten im Leben zählen keine Stunden.

 

 

Leider nur Fassade

 

 

Auf dem Württemberg sind sie wieder vereint. Wer das Mausoleum betritt liest über dem Eingang: „Die Liebe höret nimmer auf“.. Gibt es sie also doch, die große Liebe, dachte Kartografie der Wolken_07 und lächelte ein bisschen verklärt. Zurück von einer langen Reise, befragte 07 seinen Freund, das Lexikon. Das erzählte ihm, dass König Wilhelm I. gleich nach dem Tod seiner zweiten Frau, der Zarentochter Katharina Pawlowna, diese Grabkapelle errichten ließ. Ein bisschen Angst vor dem Zaren soll auch ein Motiv gewesen sein. Katharina starb mit 30 Jahren an einer Lungenentzündung. Die holte sie sich, als sie mit eigenen Augen sehen wollte, dass ihr Mann sie betrügt. Ein Jahr später heiratete König Wilhelm I. zum dritten Mal. Nicht das Verhältnis. Pauline, seine dritte Ehefrau, überlebte den König und musste nach 44 Jahren Ehe erdulden, dass ihr Mann an der Seite ihrer Vorgängerin bestattet wurde. Schade, dachte 07, aber irgendwann werde ich sie entdecken – die große Liebe.

 

 

Am Rande des Märchenwalds

 

 

Der Märchenwald ist ganz schön finster. Kartografie der Wolken_07 hatte Bammel und traute sich nicht tiefer in den Wald hinein. Vorsichtshalber. Ein leichter Wind umschmeichelte 07. Geheimnisvolle Geräusche waren aus dem Wald zu hören. Es knackte und raschelte überall. Aber die Waldfee hatte gute Laune und neckte 07 mit funkelnden Lichtern.

 

Herbstdankbarkeit

 

Nur jeder vierte Einwohner in Deutschland lebt noch auf dem Land. 75 Prozent inzwischen in den Städten. Da fällt es leicht, die Erntezeit des Jahres zu verpassen. Wer nichts sät, braucht auch nicht zu ernten.  Kennt nicht das Hoffen auf Regen zur rechten Zeit. Kennt nicht die Angst vor den Eisheiligen oder Hagelschlag im Sommer, wie dieses Jahr. Wer immer noch versucht, mit der Natur sein Auskommen zu erwirtschaften, den  befällt im Herbst meist Dankbarkeit. Kartografie der Wolken_07 hatte ein Date mit dem Wassermädchen, bewunderte den geschmückten Brunnen und freute sich, dass diese alte Tradition noch in vielen Orten bewahrt wird. 07 winkte den Kürbissen zu und freute sich auch mit ihnen. Endlich mal eine Gelegenheit, wo der Kürbis noch Kürbis sein darf – und keine Grimassen schneiden muss.

 

 

Auch der höchste Turm fängt ganz unten an.

 

 

Wenn man kein Land mehr sieht, können Aussichtstürme hilfreich sein. Nicht wegen der Weitsicht. Bei Nebel ist auch von oben nichts zu sehen. Aber Türme strahlen Gelassenheit aus. Auch moderne. 348 schwebende Stufen führen bis zur vierten Aussichtsplattform beim Killesbergturm. Vierzig Meter erhöht hat man bei schönen Wetter einen weiten Blick ins Land. Das Wetter war nicht schön. So beschloss Kartografie der Wolken_07 sich den Aufstieg zu ersparen. Es hatte sich auf einen Ast geschwungen und schaukelte so vor sich hin. Genoss die Einsamkeit. Und seine Seele nutzte die Zeit, um sich des Reifens verborgener Gründe im heimlichsten Inneren bewusst zu werden.

 

 

07 entdeckt den Herbstanfang 

 

 

Die ersten Kastanien sind längst von den Bäumen gesprungen. Der Herbst hat frühzeitig angefangen, seine Düfte zu versprühen. Pilzsammler werden wieder zu Frühaufstehern. Für Kartografie der Wolken_07 hat der Herbst etwas Zeitloses. Zu keiner anderen Jahreszeit wirkt die Natur so unaufgeregt. Als hätte sie alle Zeit dieser Welt. 07 ließ sich darauf ein und schwatzte ein bisschen mit dem Hagebuttenstrauch. Es hatte den Duft von Hagebuttentee noch in der Nase und war sehr froh, zu wissen, dass es selbst nie so abgebrüht werden würde. In ihrem Übermut konnten es die Hagebutten einfach nicht lassen und kitzelten 07, wann immer sie konnten. 

 

 

In Hechingen kurz vor dem Wolkenbruch

 

 

Fremde Städte lernt man am besten kennen, wenn man sie durchläuft. Kartografie der Wolken_07 war auf der Durchreise, hatte nicht viel Zeit und so kam es, dass 07 hechelnd durch Hechingen lief. Wer die kleine Stadt besucht, stellt schnell fest, es geht entweder rauf oder runter. Über 400 Meter Höhenunterschied sind innerhalb des Stadtgebietes mehrfach zu bewältigen. Wer ins Zentrum will muss erst mal rauf. Goethe war natürlich auch in Hechingen. Fand die Kirche besonders schön, war aber bestimmt nicht zu Fuß unterwegs. Der Schriftsteller Friedrich Wolf schon eher. Lebte acht Jahre lang in Hechingen, wo auch seine beiden Söhne Markus und Konrad geboren wurden. Die zweite Ehefrau von Albert Einstein war ein Kind der Stadt. Von alldem ist heute im Stadtbild nichts mehr zu entdecken. Hechingen ist schwäbisch. Das heißt auch - maulfaul.

 

 

In der Villa Rustica in Stein

 

 

Die Römer hatten sich vor knapp zweitausend Jahren breit gemacht in Europa und siedelten auch im heutigen Deutschland, zumindest südlich des Limes. Ab 1971 entdeckte der damalige Bürgermeister der Gemeinde Stein Stückchen für Stückchen dieses römischen Gutshofs. Fünf Jahre später waren auch die Wissenschaftler überzeugt. Bis heute halten die Ausgrabungen an. Kartografie der Wolken_07 besuchte jetzt den zu großen Teilen wiedererstandenen römischen Gutshof und staunte nur noch, was die Römer schon alles hatten. Wasserleitungen und ein Abwassersystem, Badehäuser mit Warmwasser, Toiletten, Fußbodenheizung. Betten, selbst Reisebetten, naja ein bisschen hart. Sessel, Stühle, Tische. Geschirr und Löffel. Gabeln waren noch nicht erfunden. Selbst Dachziegel konnten sie schon brennen. Eigentlich fehlte nur noch elektrisches Licht.

 

 

在中國園林

 

"

Wenn die Menschen nur von dem sprächen, was sie verstehen, würde bald ein großes Schweigen auf der Erde herrschen." Chinesische Gärten haben diese chinesische Weisheit verinnerlicht. Sie befrieden ihre Besucher und verbreiten hörbare Stille. Kartografie der Wolken_07 hätte automatisch geflüstert, wenn es zu Selbstgesprächen neigen würde. Selbst die Smartphones der Besucher wagten es nicht, einen Pieps von sich hören zu lassen. Sie schienen zu ahnen, dass in dieser Microwelt des Entstehens, Werdens und Vergehens die Gedanken größer werden.

 

 

In einer anderen Welt

 

 

Berühmte Architekten entwarfen früher Kirchen und Schlösser. Heute versuchen sie sich an Shopping-Centern. Ihre Vorlieben für hohe Räume, Galerien und lange Flure sind geblieben. Früher schufen sie Flächen für Malerei und Räume für Kunst. Heute sind die Ausstellungsgegenstände Waren, die woanders auch angeboten werden. Trotzdem strömen die Menschen in diese "Erlebniswelten". Für Kinder gibt es Spielplätze im Haus und für Hunde "Frischwasser-Theken". Nur Kunst und Natur sind in dieser Welt nicht vorgesehen. Noch nie kam sich 07 so verloren vor.

 

 

Unter den Wolken kann die Freiheit so grenzenlos sein

 

 

Das weiße Licht der Sonne befällt eine gewisse Zerstreutheit, wenn es in die Erdatmosphäre eintritt. Das kurzwellige blaue Licht drängelt sich dann vor. Es wird zehnmal stärker gestreut, als das rote. Und so sehen die Menschen nur einen Teil des Lichts, wenn sie in den blauen Himmel schauen. Kartografie der Wolken_07 mag diesen Teil. Besonders wenn seine Lieblinge, die weißen Wolken, sich im Blau vergnügen. Der Wind spielte mit. Und so jagten die Wolken einfach vorbei. Ohne sich Zeit zu nehmen für 07. Das hatte sich am Rande der Auenlandschaft an einen Baum gelehnt und schaute einfach nur zu. Ließ die Seele baumeln. Und die bedankte sich mit einem Erinnerungsfetzen aus einem Schiller-Gedicht: "Aus den Wolken muss es fallen, aus der Götter Schoß das Glück. Und der mächtigste von allen Herrschern ist der Augenblick."

 

 

Licht-Gedanken

 

 

Nicht jedes Bild kann es sich leisten, bei Tageslicht gesehen zu werden. Manche vertragen nur Kerzenlicht, wenn sie ihre volle Wirkung entfalten sollen. Andere bestehen auf indirekte Beleuchtung. Kartografie der Wolken_07 mag Sonne und überhaupt alle Varianten von Licht und Schatten. Zufällig entdeckte es ein altes Lastverteilerwerk. Hier wurde der elektrische Strom vor über 100 Jahren auf die paar Häuser verteilt, die sich den Luxus leisten konnten, mit elektrischem Licht zu glänzen. Die meisten Bilder sind mit den Glühlampen gut ausgekommen. Das Leuchtstofflampen-Monster, der Schrecken aller Bilder, versuchte erst vor knapp 40 Jahren die Welt zu erobern. Da war das Lastverteilerwerk schon abgeklemmt. In all den Jahren war noch nie ein Bild zu Besuch gekommen und die alten Leitungen fühlten sich wie früher. Voller Spannung.

 

 

Wanderer-Gedanken an einen Hundertfünfzigjährigen

 

Emil Nolde, Sonnenblumen

 

Kartografie der Wolken_07 zog es, nach den Regentagen der letzten Zeit, wieder raus auf Feld und Flur. Am Wegesrand lag ein Blumenfeld. Zum selber schneiden. Als sich 07 so durch die Sonnenblumen hangelte, entdeckte es auf einmal drei einzelne Blüten. Und die erinnerten es an ein Bild von Emil Nolde. 07's Freund, das Lexikon, erzählt über Nolde, dass er "einer der führenden Maler des Expressionismus" war.  Seine Kunst bewahrte ihn vor menschlichem Versagen. Obwohl selbst Mitglied in der NSDAP wurden seine Bilder als "entartete Kunst" verleumdet. Er erhielt Berufsverbot. und wagte es sechs Jahre nicht, auf Leinwand zu malen. In diesem Sommer wäre er 150 Jahre alt geworden. Für die großen Museen trotzdem kein Grund, seine Bilder aus den Depots zu holen. Es gibt ein paar kleinere Ausstellungen. Aber bestimmt ist es das größere Geschenk, dass sich jemand wie 07 plötzlich an ein Bild von ihm erinnert...

 

 

Fast eine Zeitreise

 

 

Als Martin Luther geboren wurde baute Leonardo da Vinci bereits den ersten mechanischen Roboter in der Gestalt eines Ritters, zur Belustigung der Fürstenfamilie in Mailand. Der Begriff Roboter wurde erst 450 Jahre später durch einen Sciencefiction-Autor erfunden. Um die Mechanik der Da Vinci-Figur zu begreifen und nachzubauen, brauchte die Menschheit fast 500 Jahre und wäre ohne die Hilfe von Computerprogrammen wahrscheinlich noch immer am Rätseln. Kartografie der Wolken_07 freute sich, als es diesen in die Jahre gekommenen Ritter entdeckte. Aber, da dieser sich weder rührte noch bequemte, den Mund aufzumachen, muss er wohl verflucht worden sein.

 

 

 In the phone booth

 

 

 

Als Kartografie der Wolken_07 geboren wurde war das Smartphone schon sieben Jahre alt und hatte die Menschen längst im Griff. 07 kennt es nicht anders, als dass immer und überall telefoniert wird. Und so reagierte es auch, als es den altehrwürdigen Klingelton vernahm. Nur, der kam diesmal aus einem Häuschen, mitten in der Stadt. Niemand war da, also trat 07 neugierig ein. Drückte alle Tasten und nahm schließlich den roten Kolben vom Gerät. Da hörte es eine Stimme. „Hello!“ „Ja, hier ist 07. Und wer bist du?“ „Oh, sorry, wrongly connected.“

 

 

Am Parcours

 

Ungefähr 1,3 Millionen Pferde leben in Deutschland. Wenn sie auf die Idee kämen, so wie die Menschen, ihre Ställe alle an einem Ort zu konzentrieren, dann würden zum Beispiel in München nur Pferde leben. Aber ihr Pferdeverstand bewahrt sie davor. Obwohl der Herdentrieb auch bei Pferden durchaus vorhanden ist, möchten sie ungern auf Auslaufmöglichkeiten verzichten. So leben sie nach wie vor auf dem Lande. Ab und zu lassen sie sich vorführen. Zum Beispiel beim Springreiten. Da wuchten sie ihre halbe Tonne über bis zu 1,60 Meter hohe Hindernisse und jedes Pferd denkt, warum habe ich den schwersten Reiter? Für Kartografie der Wolken_07 war es ganz schnell klar, keine zehn Pferde würden es dazu bringen, über solche Hindernisse zu springen. 

 

 

Im Weinberg

 

Die Kollegen von Kartografie der Wolken_07 durften sich neulich in einem Weinladen von ihrer besten Seite zeigen. Nur 07 durfte nicht mit. Weil es schon so viel herumgekommen sei. Kurzzeitig war 07 eingeschnappt. Aber man muss auch gönnen können. Und so beschloss es, sich selbst zu überzeugen, ob der Weinladen überhaupt mit Nachschub rechnen kann. "Wenn gedeihen soll der Wein, muss der Juli trocken sein", hat eine Bauernregel festgelegt. Und der diesjährige Juli scheint Willens zu sein, sich daran zu halten. Also schwitzen die Trauben so vor sich hin und werden süßer und süßer. 07 machte es sich in ihrem Schatten bequem und murmelte ganz leise: "Ach, wie gut, dass ihr nicht wisst, wie der Lauf des Lebens ist."

 

 

Am Buchenbach

 

Der Sommer im letzten Jahr hatte sich Zeit gelassen und der Oktober gewährte ihm schließlich Asyl. Der diesjährige Sommer hatte es eiliger. Er übernahm die Macht bei den Temperaturen bereits im Juni. Ob er durchhält weiß kein Mensch. Kartografie der Wolken_07 zog es vorsichtshalber jetzt nach draußen. Zum Picknick an den Buchenbach. Aus Respekt vor den Fischen wurde kein Sushi in der Proviantbüchse mitgenommen. Es dauerte auch nicht lange und die ersten Fischlein schwammen vorbei. Aber irgendwie sehen Fische alle gleich aus. Ein Aal war jedenfalls nicht dabei. Den hätte 07 sofort erkannt.

 

 

Abtei Neresheim

 

Eigentlich kennt sie jeder, der sich noch an die D-Mark erinnern kann. Die Abtei zierte elf Jahre lang den letzten 50 DM-Schein. Das Kloster thront seit 922 Jahren auf dem Ulrichsberg. Mehrfach zerstört, drohte vor 50 Jahren der endgültige Verfall. Umfassende Restaurationsarbeiten in den Jahren 1969 bis 1975 verhinderten dies.

Die letzte in Europa gebaute Barockkirche ist das Wahrzeichen des Klosters. Sie entstand nach Plänen Balthasar Neumanns. 21 Jahre lang wurde nur gemauert. Für den Innenausbau brauchte man weitere 30 Jahre. Architekt und Maler sind sich im Leben nie begegnet. Kreativität ermöglichte Kontakt. Und so krönt dieses Gotteshaus das von Martin Knoller, einem Mailänder Hofmaler, geschaffene größte einteilige Fresko der Welt. Schauen die Mönche täglich nach oben? Kartografie der Wolken_07 tat es. Ihm gefiel das große Bild. Doch umso länger 07 voller Bewunderung nach oben schaute, umso kleiner fühlte es sich selbst. Es hatte sich so auf die liturgischen Gesänge der Mönche gefreut und nun war es ganz abgelenkt.

 

Ordentlich hatte 07 kurz vor 18 Uhr zur Abendvesper Platz genommen. Die Anzahl der Besucher in der lichtdurchfluteten Klosterkirche blieb überschaubar. Wie oft mag das Fresko schon zugehört haben? Für 07 war es das erste Mal. Bisher hatte es nur davon gehört.

Im Kloster leben noch 10 Benediktinermönche. Als die Kirchenglocke rief, nahmen sieben von ihnen an beiden Seiten des Altars ihre Plätze ein. Ihr leiser liturgischer Gesang verbreitete eine meditative Stimmung im Raum. Und 07 schaute wieder hoch. Mit seiner inneren Stimme begann es zu erzählen, von seiner Welt und seinen Reisen. Und das Fresko hörte begierig zu. Wie für jeden, der nicht aus dem Haus kommt, war alles, was 07 zu erzählen wusste, völlig neu und interessant. So auch für das berühmte Fresko. Und beim Erzählen bemerkte 07, dass es gar nicht tauschen möchte. Nach der Abendvesper stand es auf, nickte noch einmal kurz nach oben und freute sich schon jetzt auf seine nächste Reise.

 

 

Seilbahn Stuttgart

 

Sie hat fast 90 Jahre in den Rädern. Als sie 1929 das Licht der Welt erblickte, war sie die erste automatische Seilbahn in Deutschland. Der Fahrscheinautomat wurde gleich miterfunden. Ihren Holzklassencharme hat sie sich, als Kind der Weltwirtschaftskrise, bis heute bewahrt.. Ein Sitzplatz war noch frei und 07 hielt Ausschau nach den Wolken...

Druckversion | Sitemap
© Robert Mühlheim